Entwicklung der deutschen Rechtsprechung: Von der Volkshoheit zur Professionalisierung
Bis ins 8. Jahrhundert n. Chr. war die Rechtsprechung fest in den Händen des Volkes verankert. Zu den Richtern zählten ausschließlich wehrfähige, waffentragende Männer – die sogenannten „freien“ Männer. Mit der Gerichtsverfassung Karls des Großen in den Jahren 770 bis 780 wurde ein entscheidender Wandel eingeleitet: Die Befugnis, Urteile vorzuschlagen und abzustimmen, ging von der Gemeinschaft der waffentragenden Männer auf die gewählten Schöffen (scabini) über. Der vom König eingesetzte Richter, der die Verhandlungen leitete, verfügte jedoch über kein eigenes Stimmrecht.
In der frühen Neuzeit verdrängten vom Landesherrn abhängige Richterbeamte, die im römischen Recht geschult waren, die freien Schöffen. Die „Peinliche Halsgerichtsordnung“ Kaiser Karls V. von 1532 stärkte die Position des Richters, indem sie ihm das Stimmrecht verlieh. Der Absolutismus beseitigte schließlich auch die letzten Reste der Schöffengerichte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein dominierten die Entscheidungen der Monarchen die Gerichtsbarkeit. Die demokratischen Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts forderten daher eine Begrenzung der richterlichen Macht und eine stärkere Beteiligung des Volkes an der Rechtsprechung.
Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 wurde in der „Amtlichen Denkschrift über die Schöffengerichte“ von 1873 festgelegt, dass kein Strafurteil ohne die Mitwirkung von Laien gefällt werden könne. Doch bereits die Emminger-Notverordnung von 1923, die das klassische Jury-Schwurgericht abschaffte und den Einzelrichter beim Amtsgericht einführte, markierte den Beginn einer gegenläufigen Entwicklung. 1933 setzten die Nationalsozialisten die gewählten Schöffen der Weimarer Republik ab und ersetzten sie durch linientreue Personen. Mit dem Kriegsbeginn 1939 wurde die Schöffenbeteiligung (ausgenommen der sogenannte Volksgerichtshof) vollständig aufgehoben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Schöffensystem wieder eingeführt, jedoch zunehmend durch Sparmaßnahmen eingeschränkt. 1974 wurde das mit drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen besetzte Schwurgericht in eine Strafkammer mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen umgewandelt. Der jüngste Einschnitt erfolgte durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz von 1993, das die Zuständigkeit des Einzelrichters bei Straferwartungen von bis zu zwei Jahren ausweitete und damit die Verfahren mit Schöffenbeteiligung an den Amtsgerichten bundesweit halbierte.